Vier Jahrzehnte an der Nadel

Mit etwa 40 Jahren sterben Opiatsüchtige in der Regel. Viola Blecher ist 73 Jahre alt – und seit mehr als 40 Jahren heroinabhängig. Wie hat sie es geschafft zu überleben?

Erschienen auf ZEIT Online, Mai 2023 / Fotos: Maria Sturm

Viola Blecher muss suchen, bis sie eine geeignete Vene für die Nadel findet. Wenn sie sich die aufgezogene Spritze am Vergabefenster abgeholt, ihren Jutebeutel neben einen der Glastische hat fallen lassen, die Haut desinfiziert und Stauschlauch am Arm angelegt hat, fährt sie sich über die faltige Haut. Sie hat zwar jahrzehntelange Übung darin, doch ihre Venen sind inzwischen vernarbt. Wenn sie schließlich eine getroffen hat, ein wenig Blut in die Spritze gezogen und den Schuss gesetzt hat, erschlafft ihr Körper für einen Moment, ihr Kopf kippt ein Stück Richtung Brust. Dann ist sie wieder da, ein wenig fröhlicher als zuvor. Sie nimmt den Stauschlauch ab, zieht die Nadel aus der Haut, schmeißt sie in einen gelben Abwurfbecher. Mit Tuch und Putzmittel desinfiziert sie ausführlich den Glastisch vor sich. „Mein Körper fühlt sich gut an. Immer noch krumm und schief, aber erträglich“, sagt sie lächelnd. 

Mit 16 Jahren hat Blecher das erste Mal Heroin gespritzt, heute ist sie 73. Sie läuft gebückt, hat die weißen Haare stets ordentlich zurückgekämmt. Die von Jahren auf der Straße zerstörten Füße stecken in schwarzen Crocs. Blecher nennt ihr Gegenüber „Schatz“, verschenkt gerne vierblättrige Kleeblätter und Blümchen vom Straßenrand und hat immer eine Biografie von Robert Musil oder Stefan Zweig im Jutebeutel. 

Seit der Eröffnung des Praxiskombinats in Berlin-Lichtenberg vor drei Jahren kommt sie jeden Vormittag für ihre erste Spritze. Die Mittagspause verbringt sie oft mit Einkäufen oder trinkt mit anderen Patienten Kaffee, dann holt sie sich eine zweite Dosis. Und manchmal kommt sie am frühen Abend noch mal. In dem vierstöckigen Gebäude, versteckt zwischen den Wohnhäusern im sozialistischen Stil der Frankfurter Allee, können sich suchtkranke Menschen Diamorphin spritzen. Die klare Flüssigkeit unterscheidet sich vom Straßenheroin nur in seiner Herstellung durch Pharmafirmen und seiner Reinheit. Anders als auf der Straße enthält es kein Mehl, Gips, Koffein, Paracetamol oder ASS.

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