In dieser Reihe teilt unser Autor Manuel Stark jeden zweiten Montag handwerkliche Regeln und Hinweise zum Schreiben. Wir feiern den Erzähl-Journalismus. Weil eine Party nur zusammen Spaß macht, teilen wir unser Wissen. Und freuen uns über Austausch. Gemeinsam für die gute Geschichte!
Kapitel3: Details – Die Macht der kleinen Dinge
Details sind die DNA jedes Erzählens. Eine gut platzierte Schilderung, ein sprechendes Detail kann mit einem Wort oder Satz ganze Absätze an Erklärung unnötig machen und einen Text mit Leben anreichern. Details erzeugen Stimmung. Wenn der Autor sie richtig wählt.
Zu viele Texte wirken aufgeblasen durch völlig unnötige Beschreibungen. War der Papierkorb rot oder blau? Die Bettwäsche ebenfalls rot – oder doch grün? Diese Details können wichtig sein, wenn es beispielsweise darum geht, einen Künstler zu porträtieren, der das Ziel hat, das perfekte Rot zu finden. In einer Vielzahl an Fällen aber stehen diese Beobachtungen für nichts.
„Stimmung“ nennen es manche, wenn sie den nebelverhangenen Morgen über einem Tal in der Provinz beschreiben, „Atmosphäre“, heißt es, wenn der grau-nasse Novembertag als Auftakt einer Sozialreportage dienen soll. Ich nenne das: Bullshit. Wetterbeschreibungen sind die schrecklichste Form der missverstandenen Wirkung von Details. Sie zeugen selten von mehr als einem Mangel an Kreativität, oder der Faulheit eines Autoren, sich gedanklich tiefer zu beschäftigen mit dem Stoff seiner Geschichte. Gute Details enthüllen Dinge, sie offenbaren etwas über die Stimmung oder den Charakter eines Protagonisten und dienen als Anker oder Katalysatoren für die Handlung. Wetter kann nichts davon bewirken. Wetter ist einfach da.
Es gibt Ausnahmen, in denen eine kurze, gute Wetterbeschreibung im Text tatsächlich Stimmung erzeugt: Immer dann, wenn die erlebte Realität in direktem Zusammenhang mit dem Wetter steht. Es interessiert mich als Leser nicht, ob draußen die Sonne scheint und mit 30°C auf den Teer brennt, wenn ich drinnen den Chef einer Bank in seinem Bürogebäude treffe für ein Porträt. Genau dasselbe Detail brauche ich hingegen zwingend, schreibe ich über die Härte des Jobs als Bauarbeiter im Sommer. Verschließt sich jemand wegen einer Angststörung für Monate in seiner Wohnung, kann Sonnenschein sogar zum wichtigsten Detail des Textes werden – um den Moment einzufangen, in dem der Protagonist seine Angst überwindet. Er tritt ins Licht.
Wie mächtig Details sein können, zeigen Autoren wie Dimitri Ladischensky. Der mare-Redakteur porträtierte für die Nr.120 seiner Zeitschrift deutsche Frauen, die nach Ende des zweiten Weltkriegs nach Island umsiedelten und dort einheirateten in die Familien von Bauern. Für eine jede wählte er ein Detail. In seinen Texten zeichnet er den ganzen Lebensweg der Protagonistinnen nach, indem er auf diese eine kleine Beobachtung fokussiert. Bei einer der Frauen waren es ihre Hände. Sie kam aus einer Familie des gehobenen Bürgertums, die glatten Hände gut gepflegt. Später dann werden sie erst rau, dann rissig, als sie anpacken muss auf den Äckern Islands. Dann zart, als sie ihr Kind beim Sterben begleitet, der Sohn leidet an Krebs, sie streichelt ihm in seinen letzten Stunden über die Stirn. Mutterhände. Die Erzählung begann mit den bunt lackierten Fingernägeln der alten Dame, erst am Ende fängt dieses zu Anfang stumme Detail an zu sprechen. Ihr Mann ist tot, ihre Kinder auch, sie lebt im Altenheim. Um zum ersten Mal in ihrem Leben dürfen ihre Hände einfach nur schön sein – und ruhen. Wie die Frau.
Merksatz:
Sprechende Details destilliert man aus den Eindrücken eines Moments, sie offenbaren etwas über die Stimmung oder den Charakter eines Protagonisten und dienen als Anker oder Katalysatoren für die Handlung einer Geschichte.
Beispiele:
Da viele der besten Details nur im Kontext der gesamten Geschichte ihre volle Kraft entfalten, verzichte ich an dieser Stelle auf Text-Auszüge. Als wahre Meister der Detail-Beobachtung seien aber beispielhaft einige Namen genannt wie Roland Schulz, Lena Niethammer, Johanna Romberg, Anna Mayr.