In dieser Reihe teilt unser Autor Manuel Stark jeden zweiten Montag handwerkliche Regeln und Hinweise zum Schreiben. Wir feiern den Erzähl-Journalismus. Weil eine Party nur zusammen Spaß macht, teilen wir unser Wissen. Und freuen uns über Austausch. Gemeinsam für die gute Geschichte!
Kapitel8: Rausschmeißer – Der Schlag
Wie alles Schreiben, folgen auch die Möglichkeiten einen Text zu beenden gewissen handwerklichen Regeln. Meister des Fachs können, wie überall, diese Regeln brechen – und so herausragende Ausstiege schreiben, die perfekt abgestimmt sind auf eine einzigartige Geschichte.
Und doch besitzen Regeln und Kniffe ihren Wert: Setzt man sie gekonnt ein, entfalten Textausstiege ein Echo, das laut und lange klingt. Der narrative Journalismus kennt drei klassische Herangehensweisen, eine Erzählung zu beenden:
1. Die Klammer (circle kickers)
2. Der Schlag (punch kickers)
3. Das Zitat (quote kickers)
Zu den Techniken von circle und quote gibt es jeweils einen eigenen Beitrag. An dieser Stelle möchte ich mich auf den punch kicker konzentrieren. Die Art von Ausstieg also, die Art von Ausstiegen also, die einen Text mit Wucht beenden und den Leser beinahe schmerzhaft treffen.
Der Schlag:
Es ist eine beliebte Herangehensweise, um einen Text zu beenden. Und eine, die selten wirklich gut gelingt. Der letzte Absatz läuft immer spitzer zu und schließt mit dem letzten Satz der Geschichte. Dessen Aussage soll sich wie eine Speerspitze in den Leser bohren.
Weil solche Enden uns treffen, oft weh tun, immer Gefühle entfachen, verweben sie Information mit Emotion. Das transportiert die Botschaft des Textes in unser Gedächtnis.
Anders, als etwa Klammer- oder das Zitat-Enden, beziehen sich letzte Absätze, die als Punch konzeptioniert sind, nicht zwingend direkt auf die vorangegangene Handlung. Der Autor selbst kann eine Frage stellen, einen winzigen essayistischen Exkurs wagen oder auch mit einem wenige Zeilen fassenden Kommentar schließen. Das ist schwierig. Kann aber gelingen, wenn der abschließende Gedanke klug, der letzte Kommentar scharf ist. Auch, eine besondere Charaktereigenschaft des Protagonisten, beispielsweise eine Art zu sprechen, noch einmal aufzugreifen und dieses Merkmal als Erzähler in einen neuen Sinn-Kontext zu stellen, kann einen Text auf großartige Weise beenden.
Beispielsweise haben gleich mehrere US-Reporter die Art der Marines aufgegriffen, eindeutigen Antworten auszuweichen. Die Soldaten antworteten immer mit einem „Well yes. Well no. But…“ (‚Vielleicht ja. Vielleicht nein. Aber…‘) und erklärten in vielen Worten, dass alles eben nicht so einfach sei.
Im Afghanistan-Einsatz kamen neben Soldaten viele Zivilisten ums Leben. Bei einer in ganz besonderem Ausmaß gescheiterten Operation töteten Soldaten die halbe Bevölkerung eines Dorfs – sie hielten die Siedlung fälschlicherweise für ein geheimes Terroristen-Versteck.
Ein Text-Ende könnte sein: „Wäre diese Tragödie zu vermeiden gewesen? Vielleicht ja. Vielleicht nein. Aber so sieht‘s eben aus, in einem Krieg.“
Natürlich geht es aber auch klassisch: Wie bei allen Text-Enden, kann man auch die Punch-Technik als Rückbezug auf das bisherige Geschehen konzeptionieren. Dann wirkt die Geschichte wie eine gespannte Bogensehne, der letzte (Ab-)Satz feuert den vorbereiteten Pfeil ab.
Beispielsweise ließe sich eine Szene auf dem Flohmarkt eines Dorfkindergartens beschreiben. Ein Text steigt mit der Szene der improvisierten Stände ein, mit Kindergelächter und bunten Luftballons. Wir erleben eine Kamerafahrt über alte Teeservice, abgenutzte Kuscheltiere und selbstgebastelte Papiersterne.
Irgendwann bleibt ein Mann an einem Stand stehen. Auf der Auslage liegen neben Spielzeugen auch ein Paar Kinderschuhe. Der Mann sieht die Schuhe an. Er ist selbst gerade Vater geworden. Die Schuhe sind himmelblau, seine Lieblingsfarbe. Von der Größe könnte das auch passen, seine Tochter ist anderthalb Jahr alt und hat gerade gelernt zu laufen. Der Mann spricht die junge Frau hinter der Auslage an.
„Das sind aber schöne Schuhe! Ich mag die Farbe sehr“, sagt der Mann.
„Die Farbe hab ich damals für meine Tochter ausgesucht. Sie passten so gut zu Milenas Augen“, antwortet die Frau.
„Nee, so überlegt ist das bei mir nicht. Sie gefallen mir einfach.“
„Muss ja auch nicht sein.“
„Wie viele sollen sie denn kosten?“
„Fünfzehn Euro.“
„Wären zehn okay?“
„Zwölf?“
„Ich habe gerade leider nur zehn Euro mit.“
„Okay, dann eben für den Zehner.“
Der Mann zieht seine Geldbörse aus der rechten Hosentasche seiner Jeans. Aus dem Fach für die Scheine zieht er die zehn Euro. Gut, dass er die Münzen immer in seiner Jackentasche verstaut, denkt er, sonst würden die gerade garantiert klimpern. Natürlich hätte er die Zwölf gehabt, auch die 15 irgendwie. Aber in dem Alter wächst ein Kind so schnell raus aus der Kleidung, da muss man doch sparen.
Am Abend sitzt er am Ufer eines Flusses und fühlt sich elend. Zeh Euro. Diese verdammten Dinger. Aber wer hätte das denn ahnen können?
Als er vom Flohmarkt heimgekommen war, hatte er seiner Freundin stolz seine Beute präsentiert. Zwei wunderschöne, hellblaue Schuhe für ihre Tochter. Und nur einen Zehner bezahlt! Sie hatte ihn angestarrt und sich dann einfach weggedreht. Ohne ein Wort, einfach weg zum Paprika schneiden fürs Mittagessen. Dabei hatte die blöde Kuh ihn doch seit dem Türkeiurlaub im letzten Sommer immerzu aufgezogen, er könne nicht verhandeln.
Wie immer war er nach dem Essen eine kleine Runde um den Block gelaufen. Die Schuhe hatte er mitgenommen. Wieso überhaupt? Vielleicht war er einfach nur beleidigt. Auf dem Spaziergang hatte er die Nachbarin getroffen. Auch ihr hatte er die Beute gezeigt. Nein, richtig präsentiert hatte er die beiden Treter! Am Anfang hatte die Nachbarin noch gelacht. Als er dann aber die Geschichte über seine Verhandlungskünste erzählte, war da plötzlich derselbe leere Blick. Aber anders, als seine Freundin, sagte sie ihm dann auch, warum.
Milena konnte gerade laufen.
Merke:
Punch-Kickers verweben Information mit einer besonders starken Emotion und zementieren die Botschaft eines Textes so in unserem Gedächtnis.