In einem Potsdamer Seniorenheim kehrt nach einem Jahr Pandemie etwas Normalität zurück. Fünf Damen treffen sich endlich wieder zum Spiel.
Erschienen in DIE ZEIT, 9.5.2021
Da sitzen sie also wieder. Im Turm, an den weißen Tischdecken. Frau Vösgen Kaffee mit Sahne, Frau Endrusch Cola mit Weinbrand der Marke Goldkrone. Vier Frauen, die Stifte schon in der Hand, und sie warten, wie immer, auf Frau Back. Sie sagen „typisch“, sie sagen „Ach, die Frau Back“. Ein Chor aus Kichern, Spötteln, „Stößchen“, der das Lied der Normalität singt.
Dass sie „das alles“ erlebt, hätte Frau Vösgen nicht gedacht. „Das alles“ ist heute, ein fast normaler Donnerstag, und „das alles“ sind die Donnerstage im vergangenen Jahr, auf die auch Frau Vösgen in ihrem 94-jährigen Leben nicht vorbereitet war. Donnerstage mit Besuchsverbot, mit Ausgangsverbot, mit Umarmungsverbot, mit Masken vor dem Lächeln, mit Plexiglasscheiben zwischen Enkel und Oma. Donnerstage mit Einsamkeit. Ein Donnerstag mit Heiligabend ohne Weihnachtsfeier mit der Familie. Donnerstage, die mit dem Mittwoch und dem Freitag verschmolzen, seit mehr als einem Jahr.
Eine Handleserin habe ihr mit 17 prophezeit, sie werde mit 60 sterben, erzählt Frau Vösgen. Mit 70 diagnostizierten Ärzte ihr den baldigen Tod. Als einer von ihnen sie auf der Patientenliege sah, rief er: „Ich dachte, Sie liegen längst unter der Erde!“ Nun, Frau Vösgen ist immer noch hier. Sie ist nur froh, dass ihr lieber Wum „das alles“ nicht erleben musste. Vier Jahre ist er jetzt tot, aber was heißt das schon, wenn man 69 Jahre verheiratet war? Manchmal wache sie immer noch aus wirren Träumen auf und wolle sie ihm erzählen. Aber was man ändern kann, soll man ändern und was man nicht ändern kann, damit muss man sich abfinden, findet Frau Vösgen.
[…]
Gesamter Text in DIE ZEIT oder hier