Erzählen hat Methode: 2,3,1 – Die DNA der Struktur

In dieser Reihe teilt unser Autor Manuel Stark jeden zweiten Montag handwerkliche Regeln und Hinweise zum Schreiben. Wir feiern den Erzähl-Journalismus. Weil eine Party nur zusammen Spaß macht, teilen wir unser Wissen. Und freuen uns über Austausch. Gemeinsam für die gute Geschichte!

Kapitel4: 2,3,1 – Die DNA der Struktur

Einer der ersten Lektionen, die ein junger Erzähler lernt, lautet: Schreibe einen lebendigen Einstieg! Schon mit dem ersten Satz will man den Leser überzeugen, jeder weitere soll tiefer in die Geschichte ziehen und Interesse wecken. Genauso wichtig ist die Lehre über den Schluss eines Textes. Ein gutes Ende besitzt Klang, hallt nach. Auch aus der Pädagogik und Psychologie wissen wir: Wer als letztes spricht, dessen Worte entfalten die größte Wirkung.

Das Schreib-Handwerk hat diese Beobachtungen aus der kognitiven Psychologie adaptiert. Sie spiegelt sich in der sogenannten 2,3,1-Regel. Die Ziffern stehen stellvertretend vor allem für die Wichtigkeit, manchmal aber auch den Klang oder die Emotion des Gesagten.

2, das Wichtige, es gehört an den Anfang.
3, das Notwendige, Informationen zu Verständnis oder Kontext in die Mitte.
1, das Wichtigste, es kommt zum Schluss.

Sehr gute Texte spiegeln diese Struktur nicht nur im Großen, sondern auch in ihren Absätzen, Sinnabschnitten und Sätzen. Was ist also das wichtigste Element eures Satzes? Was verkörpert eure Botschaft, leitet vielleicht über zum Folgesatz, fängt am besten ein, was ihr sagen wollt? Platziert das am Ende eines Satzes. Und was leitet ein, ist wichtig, weil es als Rampe für die Aussage wirkt, die ihr treffen wollt? Platziert das am Anfang. Der Rest presst sich dazwischen.

Ein (fiktives) Beispiel:

Das Wichtigste in einer Beziehung, sagt Paul, das sei nicht besonders viele Gemeinsamkeiten zu haben oder denselben Geschmack zu teilen, das sei nicht Treue oder das Gefühl eine Einheit zu bilden, das sei keine Schwärmerei für den anderen und noch nicht einmal Liebe, das Wichtigste, das sei Vertrauen.

Die Hauptbotschaft des Satzes setzt sich zusammen aus Das Wichtigste in einer Beziehung (2) und sei Vertrauen (1). Dazwischen erfahren wir etwas über die Person, die dieses Urteil fällt. Der Sprecher sagt dieses Urteil nicht so dahin, er hat sich Gedanken gemacht. Durch die Auswahl der Beispiele, die er nennt, erfahren wir zudem, was in einer Beziehung überhaupt wichtig für ihn ist. Der Zwischenschub liefert uns den Kontext der Gedankenwelt des Sprechers.

Selbst innerhalb des Zwischenschubs spiegelt sich die 2,3,1-Regel. Gemeinsamkeiten sind wichtig für jedes zwischenmenschliche Miteinander, sie stehen in der Aufzählung am Anfang. Liebe hingegen ist der Inbegriff einer Beziehung, ein Wort mit der Macht eines Symbols – es steht am Ende.

Für ganze Texte lässt sich diese Regel in etwa so übertragen:

1) Im Einstieg schaffen wir Relevanz, Neugier, Nähe. Dabei helfen uns zum Beispiel lebendige Szenen, kluge Gedanken, provokante Äußerungen oder Brüche mit Erwartbarem. Wir äußern ein Versprechen, das den Leser locken soll. Ist das Versprechen gut genug, schenkt er uns seine Zeit.

2) Die Handlung entwickelt sich. Wenn Geschichten sich entfalten, schicken sie den Leser durch emotionale Täler und nehmen ihn mit auf neue Höhen. Der Rezipient durchlebt also mehrere Wendungen. Das ist oft interessant und spannend, bestenfalls fesselnd. Immer anstrengend.

3) Das Versprechen wird eingelöst. Der Leser hat die Entwicklungen der Geschichte durchlebt und erwarb dadurch Verständnis. Im Schluss bündelt sich der gesamte Prozess aller Lektionen, Hindernisse, Erkenntnisse und Fehler, sogar der Höhepunkt klingt mit etwas Abstand noch einmal nach und und entfaltet seine Wirkung vollständig. Das Ende klingt als Echo.

Merksatz:

2,3,1 – Der Einstieg bildet die Rampe für einen Flug über das Tal der Pflicht, bis wir weiterziehen, im Ohr den Nachklang des Endes.

Beispiele:

An dieser Stelle seien zwei Bücher zu Aufbau und Struktur von Sprache genannt, in denen viele Beispiele zusammenfinden:

The Awful German Language, Mark Twain

Writing Tools, Roy Peter Clark