Meine Oma ist eine ganz normale Rentnerin. Warum geht sie putzen?

Meine Oma ist eine ganz normale Rentnerin. Warum geht sie putzen?

Helga Hofmann (75) bezieht eine Rente in Höhe des deutschen Durchschnitts. „Heute schmerzt das Geld schon, wenn ich ein Glas Wein bestelle“, sagt sie. Und reinigt die Wohnung einer anderen Frau, um ihre Teilhabe am sozialen Leben nicht vollkommen zu verlieren.

(Veröffentlich in: DIE ZEIT)

Textausschnitt: Sie ist 75 Jahre alt und für mich der Inbegriff von Eleganz: Jeden Morgen nach dem Aufstehen dreht sie sich kleine Wellen in ihre blond gefärbten Haare und schminkt sich, immer dunkel, um ihre Augen zu betonen, die schon lange von Blau zu einem hellen Grau verblasst sind. Sie trägt ihren Schmuck in Gold, als Kette um den Hals oder als Reif ums Handgelenk. Wenn sie spricht, zeigt sie Bildung, ans Französische angelehnte Fremdwörter drängen so häufig in ihre Erzählungen, dass ich mir als Kind angewöhnt habe, vor allem auf den Kontext des Gesagten zu achten.

Heute trägt sie blaue Jeans und einen schwarzen Pullover, beides ist ihr zu weit und wirft Falten, ihren Schmuck hat sie zu Hause gelassen. Nur geschminkt ist sie auch jetzt. »Ein bisschen strahlen möchte ich schon«, flüstert sie mir zu. Es ist Mittwoch, zehn Uhr, und wie jeden Mittwoch, Punkt zehn, klingelt Helga Hofmann an der Tür des Mehrfamilienhauses in einer Seitenstraße des oberfränkischen Städtchens Bad Staffelstein. Wie jedes der Häuser hier besitzt auch dieses einen kleinen Garten, wintergrüne Pflanzen, eigene Parkplätze – Dorfidylle, die mit den Grundstückspreisen einer Bäderstadt bezahlt werden will.

Es knackt in der Sprechanlage, die Tür summt. Erster Stock links. Uns öffnet eine kleine Frau mit lichtem weißem Haar, sie geht leicht gebückt. »Pünktlich wie immer«, sagt sie und lächelt. Oma wendet sich zum Bad und greift nach zwei pinken Gummihandschuhen, die sie aus einem dunkelblauen Plastikeimer zieht.

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Link: https://www.zeit.de/2018/20/rente-putzen-job-geld-altersarmut