Im Netz der Lügen

Der 36-jährige Ralf Witte wird eines Morgens von der Polizei aus dem Bett geholt und verhaftet. Er soll ein junges Mädchen mehrfach grausam vergewaltigt und schwer verletzt haben. Doch Witte ist sich keiner Schuld bewusst. Für ihn beginnt ein Albtraum.

Erschienen in ZEIT Verbechen, März 2021 / Foto: Rafael Heygster

Ein Mädchen öffnet sein Tagebuch. Es bekam das Buch von der Englischlehrerin geschenkt. Dort soll es alle Dinge hineinschreiben, die es bekümmern. Das Mädchen nimmt einen Filzstift und schreibt:

Ich packe es nicht mehr. Manchmal wünsche ich mir, dass ich tot bin, einfach weg bin, meine Ruhe habe, vergessen und einfach frei zu sein. Aber auch ich werde sie später alle fertig machen, einen nach dem anderen. So schnell werden die mich nicht los, so schnell nicht. Es ist aber so schwer und es tut weh zu leben, so vieles, was alles schon passiert ist, wo soll das hinführen, ich will nicht mehr die Hure von Papa sein.

Draußen läuft noch alles in geregelten Bahnen. Früh ist es, fünf Uhr, halb sechs. Der Schienenschleifwagen fährt über die sich durchs Straßennetz ziehenden Gleise. Im Inneren drückt der Kompressor mit Tonnengewicht die Schleifsteine gen Boden. Sie kratzen über Schienen, Wasser spritzt aus Düsen, nimmt dem Eisen die Hitze. Vorn, in der Fahrerkabine, sitzt Ralf Witte. Er ist 36 Jahre alt. Seine Schicht geht gerade zu Ende. Er lenkt den Schienenschleifwagen in die Thurnithistraße, fährt in den Betriebshof, stellt den Wagen ab. Er nimmt seine Thermoskanne und geht zu seinem Auto. Es ist der 16. Mai 2001.

Daheim legt er sich neben Kerstin und schläft ein. Für eine Stunde liegt das Ehepaar so beisammen, bis Kerstin aus dem Schlafzimmer schleicht, um Simon, ihren kleinen Jungen, zu wecken. Sie macht Frühstück, fährt ihn in den Kindergarten, kehrt zurück. Um zehn Uhr klingelt es an der Tür des Reihenhauses. Zwei Männer, Polizei. Ob ihr Mann zu sprechen sei? Der schläft, Nachtschicht. Ob sie ihn bitte wecken könnte? „Ralf, komm mal, da sind zwei Männer von der Polizei, die wollen irgendwas von dir.“

Ein neues Spielchen seiner Exfrau, denkt Witte verschlafen. Seitdem sie in eine Sekte geraten ist, macht sie Theater. Aber die Kriminalbeamten wollen was anderes: „Kennen Sie eine Jennifer?“ Witte nickt. „Unser Kindermädchen.“ Der Beamte sagt: „Die war gestern bei uns auf der Wache. Sie hat Sie angezeigt, wegen Vergewaltigung.“

[…]

Der ganze Text im Heft 9 von ZEIT Verbrechen oder hier.