Seit 15 Jahren suchen Mandys Eltern nach ihrer verschwundenen Tochter. Doch als sie der Wahrheit endlich näherkommen, fallen Schüsse vor ihrer Haustür. Der Kampf um Gewissheit eskaliert
Erschienen in ZEIT Verbrechen, Juli 2024 / Fotos: Mario Wezel
Sie hat die Satinvorhänge vor die Fenster gezogen. Die Außenwelt soll ihr fernbleiben, sie ist ihr längst zur Bedrohung geworden.
Sabine sitzt am Esstisch, hat die vom Rheuma schmerzende Hand in den Schoß gelegt. Die andere führt die Zigarette an ihre Lippen für den nächsten gedankenlosen Zug. Von Dutzenden Fotos an den Wänden blicken die Vorfahren auf sie herab.
Einst war Sabine eine stolze Sinteza, zog mit ihren Eltern im Wohnwagen von Ort zu Ort. Schriller Jahrmarkttrubel und die klebrigen Massen der Menschen. Doch seit 15 Jahren ist sie nur mehr die Mutter eines abhandengekommenen Kindes.
Nichts zermartert einen so sehr wie die Ungewissheit.
Es war das Jahr 1988, Sabine 23 Jahre alt, als sie den zwei Jahre jüngeren Richard heiratete. Ein stiller, freundlicher Mann, der beim Sprechen manchmal verlegen lächelt. Im Jahr darauf, am ersten Weihnachtstag, brachte sie ihre Tochter Mandy zur Welt. Sechs Jahre später ihren Sohn. Sabine und Richard wurden sesshaft, zogen aus dem Wohnwagen schließlich in ein Haus in Niedersachsen. Mandy trat in der Mini Playback Show auf. Sie sang Destiny von Jennifer Rush; sie hatte Sommersprossen im Gesicht und trug lange, lockige schwarze Haare. Im Fernsehstudio sagte ein kleiner Elvis Presley zu ihr, sie sei die schönste Frau der Welt.
Als Mandy älter wurde, bemerkte sie, dass sie bei den Jungs gut ankam. Sie schrieb mit manchen von ihnen E-Mails, sinti- prinzessin@hotmail.com, traf sie heimlich. Nachdem Mandy ihren Realschulabschluss bestanden hatte, begann sie eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau im Mercedes- Autohaus. Dann lernte sie diesen Jungen kennen.
Sein Name kommt Sabine heute nicht mehr über die Lippen.
[…]
Der ganze Text in ZEIT Verbrechen, Ausgabe 27