Der Hintergrundmusiker

Denis Berger aus Heilbronn produziert heimlich Beats, schickt sie an einen der wichtigsten Produzenten im Hip-Hop – und wird als Pvlace zu einer zentralen Figur in dem Milliardengeschäft. Die Frage ist: Wie lange geht dieses Märchen? Erschienen in SZ-Magazin, Mai 2022 / Fotos: Julian Baumann Sechs Kameras zielen auf ihn. Drei filmen seine Kunst. Drei sein Leben. Denis Berger sitzt an diesem Februarnachmittag 2022 in einem kleinen Tonstudio. Gleich zwei Filmteams haben sich um den blassen Jungen versammelt, der mit den Augen die richtige Linse sucht, in die er sprechen soll. Die einen wollen die Geschichte vom Multi-Platin-Produzenten »Pvlace«. Als Pvlace also soll er den begeisterten Amerikanern erklären, wie er arbeitet, wie die 30 Sekunden Musik entstanden sind, die man gleich hört. Als Denis Berger hockt er inmitten eines deutschen Doku-Films über sich selbst: über den Heilbronner Jungen, der es aus der Sozialbausiedlung hierher geschafft hat, in ein Hochhaus am Sunset Boulevard, West Hollywood, Los Angeles. Und den diese Musikschnipsel zum Multimillionär machten. Berger beugt sich vor den Laptop, schwarzes, weites T-Shirt, die Haare hellblond gefärbt, ein Kreuz um den Hals, Ohrringe, von denen einer so viel kostet wie sein längst verschenkter Polo. Neonröhren werfen ein bläuliches Licht auf sein jugendliches Gesicht. Er schaut in eine der Kameras. »Hi, Leute, was geht? Ich bin Pvlace … Ach fuck«, sagt er, klatscht sich auf die gerötete Wange, dreht sich mit dem Stuhl einmal um die eigene Achse, will die Anspannung loswerden wie ein Hund, der sich schüttelt. Berger ist die vielen Kameras nicht gewohnt, seit ein paar Tagen folgen sie ihm, seit die Dreharbeiten begonnen haben für die Dokumentation, die auf einer großen Streaming-Plattform laufen soll. Eigentlich scheut er so viel Aufmerksamkeit. Er geht kaum raus, zu Hause im Kaufland tippen ihm Jugendliche auf die Schulter, hey, wir feiern dich krass, dürfen wir ein Foto machen? Jetzt macht er, was sie wollen, die Filmcrew aus Deutschland, die amerikanischen Videoleute. Denis Berger, 25 Jahre alt, müsste nie wieder arbeiten in seinem Leben. Er hat so viel verdient, dass er elegant darüber schweigt. »Pvlace« nennt er sich als Produzent, man spricht es »Palace«, englisch für Palast. »Ich hab alles erreicht, was man im Hip-Hop erreichen kann«, sagt er. Es ist nicht überheblich. Es ist wahr. Schaut man mal nur auf Zahlen – sechsmal Billboard-Nummer-eins, neunmal Platin, einmal Gold – und darauf, wie viele Menschen seine Musik hören, findet man aktuell nichts Vergleichbares in Deutschland. In seiner Liga spielen Namen wie Drake, Future, Chris Brown, Gucci Mane, die Elite der Hip-Hop-Szene. […] Der ganze Text in SZ-Magazin oder hier.
Es geht rund!

Aus einem „Freedom Day“ wurde nichts, stattdessen: noch ein Matschwinter mit Corona. Seit Beginn der Pandemie träumen wir von ihrem Ende – dabei sollten wir zyklisch denken. Erschienen in Süddeutsche Zeitung, 25.12.2021 Ich hatte sehr früh eine Idee, wie alles endet. Es war April 2020, die Kinder von nebenan malten mit Fensterfarben in Regenbogenoptik „Bleibt zu Hause“ an die Fenster und ich spazierte mit meinem Vater stundenlang durch mittelfränkische Wälder. Dienstag war derselbe Mist wie Samstag, ich sah die Zeit nur an den Ästen voranschreiten, an denen allmählich Blätter sprießten, aber mein Vater versprach: „Du wirst sehen, wenn das vorbei ist, werden die Menschen feiern, wie sie es nie getan haben.“ Trotz Grundskepsis (mein Vater schwor bereits, er habe nie Marihuana geraucht und Trump würde nicht Präsident, für beides gibt es gesicherte Gegenbeweise), flackerten in meinem mit Zoomkacheln gefliesten Hirn Lampions, Lichterketten und ins Abendrot gereckte Champagnergläser auf. In einer Zeit, in der man nicht wusste, ob jemand eine Wodkafahne oder sich die Hände desinfiziert hat, stellte ich mir vor, wie unser Nachbar meine Mutter umarmte, obwohl sie seit zwei Jahren einen Reichskrieg elsässischer Ausmaße um 15 Zentimeter Gartengrundstück führten. Er würde mit einem fränkischen Bocksbeutel (Würzburger Silvaner) runterkommen, seinen Filzhut abnehmen und uns beschwipst zuzwinkern, man müsse den Paragraf 30, Absatz 1 des Bayerischen Grundstücksverkehrsgesetzes ja nicht so ernst nehmen. In einer Zeit, in der sich Regionalbahn-Passagiere vor der Ausgangstür herumdrückten, als speie der Türknopf Feuer, stellte ich mir vor, wie ich als Hobby-Portier dann aussteigenden Fahrgästen zum Abschied die Hand schüttelte. Ich träumte von dichten Kassenschlangen, in denen sich die Kanten der Tiefkühlpizzas fast liebevoll in den Rücken des Vordermanns bohrten. Ach, das ganze Land war ein einziges großes Fest, die Deutschen trauten sich von den Bierbänken runter und tanzten auf der Straße, ganz ohne drei Promille, „Fliegerlied“ oder „Hölle Hölle Hölle“, sie tanzten zu Peter Sarstedts „Where Do You Go to My Lovely“ , der Song lief in Homburg wie in Finsterwalde, und da ward Liebe zwischen allen Völkern, sogar zwischen Schalke und Dortmund. […] Gesamter Text in der Süddeutschen Zeitung oder hier
Ganz mein Humor

Frauen dürfen regieren, sie dürfen ins All. Aber lustig sein? Um Gottes willen. Carolin Kebekus und die Frage, warum gute Pointen oft nicht reichen, um als Komikerin in den Late-Night-Olymp aufzusteigen. Erschienen in Süddeutsche Zeitung, 15.10.2021 Mittag im Gaffel am Dom, ein Brauhaus mitten in Köln. Die Kupferfässer leuchten, es riecht nach Bier und gebratenem Fleisch. An diesem Dienstag im September geht eine schmale Frau hinter einem großen PR-Agenten an den Tischreihen entlang, an denen man mit zurückgekrempelten Ärmeln ausladend Steaks zersägt. Die Nasen tief über den dampfenden Tellern, merken die Gäste nicht, dass an ihnen gerade die lustigste Frau Deutschlands vorbeiläuft. Beide, das Brauhaus und die Komikerin Carolin Kebekus, gehören fest zur Stadt Köln, ihre Kollegin Anke Engelke nannte Letztere mal „Stadtinventar“. Einmal die Treppe hoch liegen Räume, in denen man Kebekus laut eigener Aussage zur Karnevalszeit „schon in ganz anderen Zuständen“ gesehen habe. Zwei Stockwerke drüber residiert der Verlag Kiepenheuer & Witsch, in dem Carolin Kebekus gerade ein feministisches Buch veröffentlicht hat. Der Sound darin ist persönlicher, wütender, wissenschaftlicher als vieles, was man von ihr kennt. Und es liegt mehr als ein paar Stockwerke von ihrer einstigen Rolle als Prollfrau entfernt. Aber über diese Zeit, in der sie noch Witze über Claudia Effenberg machte, die ihr „auf den Sack geht“, will sie an diesem Tag nicht viel reden. Auf dem Buchcover thront Kebekus, die Hand auf weißem Hermelinfell gebettet. Lange, goldene Kronenzacken ziehen sich über den Einband, auf dem steht: „Es kann nur eine geben“. Damit meint Kebekus sich selbst. […] Gesamter Text in der Süddeutschen Zeitung oder hier
Der Schmetterlingseffekt

Was braucht es, um den Apollofalter zu schützen? Einen staatlich beauftragten Biologen, Wachmänner und riesige Schutthalden. Denn dieses Insekt darf auf keinen Fall aussterben. Über die Bedeutung eines Flügelschlags. Erschienen in Süddeutsche Zeitung, 5.6.2021 Am Anfang dieser ganzen verzweigten Geschichte steht ein Mann auf einem Problem. An einem Hang vor einem Steinbruch schaut Adi Geyer auf das, was unter seinen Turnschuhen passiert. Das ungeübte Auge sieht: Steine. Dazwischen einzelne Grashalme, etwas Moos und andere Pflänzchen, die vor sich hinwuchern, und über deren Existenz sich der normale Mensch wenig Gedanken macht. „Aber“, sagt Adi Geyer, „man muss die Apollofalterbrille aufsetzen.“ Mit der sieht man einen Kampf ums Überleben, Konkurrenz um die Vorherrschaft, Gebietskonflikte. Da unten passiert einiges. Es treten an: Moos, Gras und Büsche. Gegen: den Weißen Mauerpfeffer. Für letzteren sieht es schlecht aus. Geyer schaut mit der Apollofalterbrille in die Zukunft: „Wenn du in zehn Jahren wieder herkommst, haben sich Gras und Büsche durchgesetzt. Und irgendwann ist die ganze Fläche zugewachsen.“ Gut für das Moos, schlecht für den Weißen Mauerpfeffer, Sedum album oder „der Sedum“, wie ihn Geyer nennt. Er ist die Wurzel seiner Arbeit und das erste Glied in einer langen Kette, an deren Ende ein Falter seine zarten Flügel schwingt. […] Gesamter Text in der Süddeutschen Zeitung oder hier
Bingo

In einem Potsdamer Seniorenheim kehrt nach einem Jahr Pandemie etwas Normalität zurück. Fünf Damen treffen sich endlich wieder zum Spiel. Erschienen in DIE ZEIT, 9.5.2021 Da sitzen sie also wieder. Im Turm, an den weißen Tischdecken. Frau Vösgen Kaffee mit Sahne, Frau Endrusch Cola mit Weinbrand der Marke Goldkrone. Vier Frauen, die Stifte schon in der Hand, und sie warten, wie immer, auf Frau Back. Sie sagen „typisch“, sie sagen „Ach, die Frau Back“. Ein Chor aus Kichern, Spötteln, „Stößchen“, der das Lied der Normalität singt. Dass sie „das alles“ erlebt, hätte Frau Vösgen nicht gedacht. „Das alles“ ist heute, ein fast normaler Donnerstag, und „das alles“ sind die Donnerstage im vergangenen Jahr, auf die auch Frau Vösgen in ihrem 94-jährigen Leben nicht vorbereitet war. Donnerstage mit Besuchsverbot, mit Ausgangsverbot, mit Umarmungsverbot, mit Masken vor dem Lächeln, mit Plexiglasscheiben zwischen Enkel und Oma. Donnerstage mit Einsamkeit. Ein Donnerstag mit Heiligabend ohne Weihnachtsfeier mit der Familie. Donnerstage, die mit dem Mittwoch und dem Freitag verschmolzen, seit mehr als einem Jahr. Eine Handleserin habe ihr mit 17 prophezeit, sie werde mit 60 sterben, erzählt Frau Vösgen. Mit 70 diagnostizierten Ärzte ihr den baldigen Tod. Als einer von ihnen sie auf der Patientenliege sah, rief er: „Ich dachte, Sie liegen längst unter der Erde!“ Nun, Frau Vösgen ist immer noch hier. Sie ist nur froh, dass ihr lieber Wum „das alles“ nicht erleben musste. Vier Jahre ist er jetzt tot, aber was heißt das schon, wenn man 69 Jahre verheiratet war? Manchmal wache sie immer noch aus wirren Träumen auf und wolle sie ihm erzählen. Aber was man ändern kann, soll man ändern und was man nicht ändern kann, damit muss man sich abfinden, findet Frau Vösgen. […] Gesamter Text in DIE ZEIT oder hier